Aller Anfang ist schwer

ihr Lieben, hiermit verabschiede ich mich von meinem Blog, den Sascha jetzt weiterführen wird. Wie ihr lesen werdet ist der Anfang alles andere als leicht und wir hoffen sehr dass es bald besser wird für ihn. Schreibt doch zahlreiche Kommentare, damit er weiß, dass ihr das lest. Motivation, Ermutigung kann er in jedem Falle gut gebrauchen. Wenn ihr kein Interesse an seinen Reiseberichten habt geht mir kurz Bescheid, dann nehme ich euch aus dem Verteiler.

Und hier kommt jetzt Sascha:

Ich und rund 100 weitere Menschen werden aus dem Rumpf des Flugzeugs ausgespuckt, empfangen vom strömenden Regen. Ein Bus steht bereit doch bis ich dort bin, bin ich völlig durchnässt. Die Passagiere hatten dem Piloten Minuten lang applaudiert für die Landung, doch eigentlich war es bis hierhin nur Nebel, durch den wir geraume Zeit geflogen waren. Dann stehe ich auch schon draußen vor dem Flughafen. Es regnet noch immer vielleicht ein bisschen weniger heftig aber was macht das schon für einen Unterschied.

Angekommen im 30 km entfernten Kutaissi erledige ich die notwendigen Besorgungen soweit möglich. Am Busbahnhof, wenn man diese Ansammlung von Matruschkas inmitten eines Straßenzuges denn so nennen will, denn ansonsten deutet nichts auf einen Bahnhof hin, frage ich mich durch, um den richtigen Minibus zu meinem Ziel, am Fuße der Berge, zu finden. Eine Stunde später bin ich noch nicht wirklich weiter, doch da mein Flug Verspätung hatte, naht der Abend und damit die Nacht, die ich keinesfalls in den Straßen von Kutaissi verbringen möchte.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu laufen. Ich bin am südlichen Ende der Stadt und muss ins nordöstliche. Diese 12 km zu Fuß tragen nicht gerade zu meiner Erheiterung bei. Ich bin müde habe in der letzten Nacht gar nicht geschlafen, inzwischen seit über 30 Stunden wach und will eigentlich nur noch ein Platz, wo ich mein Zelt aufbauen und die Nacht ungestört verbringen kann. Als die Besiedlung dünner wird, ist mein Versuch zu trampen endlich erfolgreich. Schon wird es dunkel. Hier im Süden geschieht das früher. Auch wenn heute der längste Tag des Jahres ist, dämmert es schon um 20:30 Uhr. Natürlich finde ich keinen wirklich ebenen Platz, aber zumindest ist dieser von den nahe gelegenen Hochhäusern aus UdSSR Zeiten, ein Bild, das man bei uns nicht kennt, uneinsichtig.

Ein neuer Tag bricht an und für mich die Möglichkeit, diesen freudvoller zu nutzen als den vergangenen. Nachts hat es zwar nicht geregnet, doch alles ist nass vom Tropfwasser unter den Bäumen. Mir bleibt nichts anderes übrig, alles, feucht wie es ist, zusammenzupacken und damit ein extra Kilo im Rucksack in Kauf zu nehmen. Auf den ersten Lift warte ich fast anderthalb Stunden. Mich grüßt  jeder freundlichst, doch mitgenommen werde ich lange Zeit von keinem der vorbeiholpernden Autos. Irgendwann ist es dann doch so weit und ich bin schockiert, wie schlecht dieses Strassenstück ist, nicht nur tiefe Schlaglöcher, sondern auch ein Hangrutsch nach dem nächsten haben die Asphaltdecke inzwischen mehr als verschwinden lassen und man fährt auf einem Bett aus Kieselstein. Hauptverbindungs Straßen beispielsweise in Kirgistan sehen anders aus. Einige Umstiege später bin ich in Ambrolauri. Ich habe festgestellt, dass bei meinem Rucksack der Trageriemen dabei ist zu reißen, irgendwo in diesem Ort will ich ihn reparieren lassen. Ohne Erfolg. Mal wieder werde ich mit meiner Geduld auf die Probe gestellt, um die nächste Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Nun aber habe ich endlich mal Glück. Der Mann spricht nicht nur englisch, sondern ist auch so freundlich und hilfsbereit, im nächsten Ort gemeinsam mit mir nach jemanden zu suchen, der sich um meinen Rucksack kümmern kann. Bei der Näherin  der Gegend kann mir nicht geholfen werden, dafür aber bei einem Schuster. Dieser möchte dann für seine Arbeit nichtmals Geld haben. Hier auf dem Land sind die Menschen doch sehr anders. Erst beim Verabschieden sehe ich die Nummer auf seinem Handgelenk eintätowiert.

Anschließend gilt es die Border Permits, die für den Zugang zur Grenzregion zu Russland von georgische Seite vorausgesetzt werden, abzuholen. Doch mit abholen ist es nicht so einfach getan, wie ich glauben will. Bei der Polizeistation des Ortes stehe ich eine halbe Stunde, während eine Frau dicht über ihr Telefon gebeugt, in diesem Land scheinen auch wirklich alle Menschen kurzsichtig zu sein, aber keine Brille zu tragen, recherchiert und wie ich darauf feststelle, den Standort der anderen Polizeistation sucht um ihn mir zeigen zu können. Eventuell sollte an dieser Stelle angemerkt sein, dass die Ortschaft vielleicht wenn es hochkommt 100 Häuser beherbergt. Somit muss ich also zur nächsten Polizeistation. Englisch spricht ja mal wieder niemand so richtig. Mein Anliegen erklärt, muss ich feststellen, dass nicht, wie mir das nationale Grenzpolizeiministerium zugesichert hatte meine Genehmigung hier hinterlegt sei, zumindest behaupten das die Militärs, sondern dass ich sie erneut beantragen muss. Das Formular natürlich auf georgisch, und georgische Schrift sind für mich einfach nur viele Kringel mit ein paar Strichen dran, auszufüllen ist ohne Übersetzung eine lächerliche Lapalie und bürokratischer Schwachsinn. Irgendwann sind dann auch die Soldaten von unseren Verständigungsschwierigkeiten so genervt, dass sie mir einfach das Blatt unausgefüllt aber mit Stempel und Unterschrift mitgeben. Warum nicht gleich so?

Erneut ist das Glück auf meiner Seite. Ich stehe mal wieder vergeblich am Straßenrand und suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Da wendet sich der Mann, dessen Grundstück hinter mir liegt an mich und sagt, dass er doch ein schönes Haus habe. Daraufhin lobe ich vor allem die Kirsch- und Walnussbäume, die davor stehen. Wenig später kommt er mit einem Ast behangen von reifen Kirschen wieder. Er fragt mich, wo ich hin wolle und dass er mich fahren würde. Seine Frau in perfektem Englisch, fast jeder hier hat ein Kind in Deutschland, fragt mich, ob ich russisch spräche, denn dies wäre der Eindruck ihres Mannes gewesen, bald man merkt sie aber, dass davon keine Rede sein kann und meint lachend , dann müsse ihr Mann eben sein Englisch trainieren. Ich werde mitsamt meines leider recht monströsen Rucksacks und den Kirschzweigen ins Auto verfrachtet und er fährt mich einfach so die 45 km den Berg hinauf. Dabei unterhalten wir uns so gut wie möglich, bis sein Wortschatz an Englischvokabeln und mein Wortschatz an Russischvokabeln aufgebraucht sind. Dann muss die Stereoanlage des Autos herhalten. So dröhnen Eric Clapton, Bob Dylan und Metallica aus den Boxen, erfreulicherweise hat mein Fahrer einen ganz guten Musikgeschmack.

In Ghebi angekommen, bekomme ich einen ersten Eindruck vom Kaukasus, auch wenn die Gipfel alle in dichten Wolken hängen. Die Wiesen am Talgrund sind unglaublich nass und die Flüsse führen Hochwasser. Ihre Ufer sind gesäumt von Azaleen, schwarzen Johannisbeeren, Orchideen, Tigerlilien Esskastanien und Walnussbäumen, einer Flora, wie man sie bei uns vielleicht in einem Gartencenter fände. Über einen steinigen Fahrweg im riesigen gewaltigen Flussbett wandere ich taleinwärts und werde dabei immer wieder von Regenschauern überrascht, die mich zwingen, alles regensicher einzupacken, bei meinem Gepäckvolumen und vielen wichtigen, elektronischen Geräten kostet das jedes Mal zehn Minuten. Noch mehr als von der Schlepperei bin ich vom logistischen Aufwand genervt, mein Hab und Gut stets aufs Minimum komprimiert zu verpacken, um es überhaupt irgendwie tragen zu können. Doch genauso froh bin ich endlich dem Trubel der Stadt, den Straßen und dem Warten entflohen zu sein. Hier in den richtigen Bergen ist doch gleich eine ganz andere Ruhe und Gelassenheit. Schnell lasse ich die letzten dauerhaft bewohnten Häuser hinter mir, und es wird einsamer. In den Alpen wäre so etwas völlig undenkbar, aber hier sind nur der Fluss, die inzwischen teilweise auch zugeschüttete oder weggebrochene Straße, der Wald und die Berghänge darüber. Auch wenn ich das Laufen genieße, schmerzen meine Füße von der langen Zeit in Bergschuhen. Vom Gehen bei heißen Temperaturen sind meine Füße voller Blasen.

Ein Wildbach kreuz meinen Weg, nichts besonderes, doch das Überqueren mit 20 Kilo Rucksack, wenn man den Grund nicht sieht auch wenn das Wasser nur bis zum Schienbein reicht, also einer wirklich lächerlich Höhe, kritisch wird es nämlich erst bei mehr als kniehohem Wasser, natürlich immer in Relationen zur Strömung, bereitet mir Schwierigkeiten. Was soll dann erst noch kommen?

Es dauert nicht lange und dann ist es soweit. Ich hab es schon befürchtet, als ich auf die Karte gesehen habe und jetzt höre ich es am Rauschen. Nein kein Rauschen, ein drohendes Lärmen, das alle sonstigen Klänge verschluckt. Vor mir rauscht ein Fluss herunter, der selbst ohne Gepäck für mich in der Kategorie zu zuordnen wäre, die so gerade eine Nummer zu groß zum Überqueren ist. So richtig kann man Flüsse aus der Entfernung nie einschätzen, wenn man nicht den Grund sehen kann. Ist das Wasser aufgewühlt oder schlammig so muss man die Tiefe erkennen, um einschätzen zu können, wie mächtig die Strömung wirken kann. In diesem Falle gibt es wenig Zweifel. Trotzdem, aus Ratlosigkeit, wie es für mich jetzt weitergehen soll, nehme ich einen 30 kg schweren Stamm von 4 Metern Länge, breiter ist der Wasserlauf übrigens nicht und werfe ihn hinein. In Sekundenschnelle ist er 30 Meter tiefer.

Das ganze wäre einfach, wenn man mir Versagen bei der Planung vorwerfen könnte oder muss man das? Ich habe jeden Kilometer, den ich auf dieser Weltreise gehen wollte mittels Satellitenbildern vorher geprüft, unter anderem auf die Größe der Flüsse. Wäre dies ein normales Jahr mit weniger Schmelzwasser, ich glaube kaum, dass man diesen Bach überhaupt als Hindernis wahrnehmen würde.

Was bedeutet das für meinen Georgienaufenthalt? ich bin ziemlich verzweifelt. Zweifelsohne es ist nervig, wieder die 4 Stunden aus dem Tal heraus laufen zu müssen und zwei Tage ins nächste Tal zu trampen,um von dort aus wandern zu können. Aber wirklich fatal ist es nicht, wenn man bedenkt, dass ich ein Jahr reisen will. Was macht das schon ein Tag oder zwei. Viel mehr es ist die Frage was ich nun unternehmen kann. Alle Bäche sind angeschwollen. Dies hier war der Anfang der Eingehtour, die vielleicht simpelsten Kilometer Trekkingstrecke auf meine Weltreise. Noch befinde ich mich ja immerhin auf einem Fahrweg. Wenn dies nicht geht, was ist denn noch alles unmöglich? 

Erschöpft grabe ich neben dem Fluss im Kies eine flache Stelle, um dort das Zelt aufzubauen. Mal wieder ist es schon spät, 20:00 Uhr und bis ich mit dem Abendessen fertig bin nach 21:00 Uhr, für Campingverhältnisse bedeutet diese Uhrzeit  immer einen richtig langen Tag. Kleinigkeiten wie das Auslaufen einer Zahnpastatube oder die Nichtauffindbarkeit des Klopapiers rauben mir fast die Fassung. Alle Schutzmaßnahmen gegen Bären, von denen ich je gehört habe, die allerdings auch für den größeren Grizzly gelten, den es hier natürlich nicht gibt, aber wer weiß schon ob mit  kaukasischen Braunbären zu spaßen ist, außer Acht lassend, sinke ich in mein Zelt und beschließe, folgendes für den morgigen Tag: Sinkt  der Wasserstand vom Fluss, soweit das ich ihn morgen früh überqueren kann, werde ich es wagen, weiter zu gehen, denn die anderen Bachläufe sind auf der Karte kleiner eingezeichnet, komme ich nicht herüber, werde ich drei Tage trampen, um wieder auf meine Route zu kommen.

5 Kommentare

  1. Lieber Sascha,
    das war ja ein abenteuerlicher Einstieg in dein Projekt! Ich finde, du hast dich echt wacker geschlagen. Aber natürlich wünsche ich dir, dass es jetzt erstmal etwas leichter wird, in deine geliebten Berge zu kommen.
    Du hast übrigens einen Schreibstil, den zu lesen Spaß macht. Aber ich wusste erstmal gar nicht, wo du dich eigentlich herumtreibst – könntest du das vielleicht zu Beginn gleich mal kundtun, nur so zur Orientierung für die armen Zu-Hause-Gebliebenen? Liebe Grüße nach Georgien von Martina

  2. Amara und Ratni

    Lieber Sascha,
    den längeren Kommentar, den wir eben geschrieben haben, ist leider verschwunden. Jetzt wünschen wir Dir, daß Dein Mut und das Glück Dich weiterhin begleiteen. Danke für die Einstimmung. das verspricht ja Nervenkitzel für die Leser*innen. Liebe Grüße, Amara und Ratni

  3. Nicola Buttgereit

    Hey Sascha, macht trotz der wideren Umstände Spaß deinen Blog zu lesen.
    Spannend und unterhaltsam geschrieben. Bitte weiter so.
    Ich finde, du kannst einfach stolz auf dich sein Stolz auf deinen Mut, stolz dass du das Ganze geplant hast und durchziehen wirst.
    Ich schaffe noch nicht mal einen Urlaub alleine.
    Es wird solche und solche Tage geben- vielleicht kennst du das Buch von Hape Kerkeling – ich bin dann mal weg. Sein Start war ähnlich. Am Ende hat er triumphiert- über sich und dass was er erlebt hat. Es ist das Abenteuer deines Lebens. Also scheiß auf die Problemchen und zeige ihnendie Zähne.
    Es wird toll, so toll, dass dass das Zurückkommen schwer fallen wird

    Vertraue dir. Umarme dich. Nico

  4. Nicola Buttgereit

    Ich hatte das am 1. Tag schon geschrieben, leider wurde es nicht gesendet. Daher jetzt

  5. Lieber Sascha,

    wow, gleich m Anfang eine ordentliche Wassertaufe … Vielen Dank für die spannende, so detaillierte Darstellung Deiner Erlebnisse! Ich kann mir vorstellen, dass gerade für jemanden, der so akribisch geplant hatte, größere Planungsänderungen bzgl. Route und zeitl. Ablauf nicht gerade einfach sind! Aber ich denke, genau das wir Deine Seele reifen lassen auf dieser langen Reise: immer wieder Pläne loszulassen und sich auf das Neue, Spontane einzulassen. Und zu vertrauen.
    Bin gespannt, was noch kommt!

    Viele herzliche Grüße – und viel Glück!
    Miklós

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