Ersteinmal Herzlichen Dank für Eure vielen aufmunternden Kommentare. Ich kann sie wirklich gebrauchen.
Ich habe den Fluss nicht überquert. Stattdesse habe ich den langen Weg außen herum angetreten.
Die ersten 40 km des Trampens ziehen sich mal wieder sehr in die Länge, dann aber bin ich erfolgreicher. Mal sitze ich in luxuriösen Geländewagen und begleite die Touristen auf ihren Abstechern zum Sightseeing, wobei ich feststelle, dass auch wenn man bei dieser Art des Reisens das Meiste verpasst, sie doch wunderbar bequem ist, mal in 30 Jahre alten Autos, deren Innenraum von einer dicken Staubschicht bedeckt ist und deren Türen bei jedem Schlagloch in die Höhe gehen und anschließend krachend wieder herab fallen. Genau mit einem solchen Auto passiert es dann auch, dass wir auf der von chronischen Muhrenabgängen geplagten Straße, Ursache ist zweifelsohne, dass man in Georgien noch nie etwas von Hangbefestigung gehört hat und wenn eine Mure abgeht, einfach weiter die Bergflanke abgräbt oder gleich ein Kieswerk dort ansiedelt, stecken bleiben.
Endlich erreiche ich wieder die Berge und kann meinen Aufstieg auf einen ersten Aussichtsgipfel beginnen. Unmittelbar nördlich von mir erstreckt sich der Grenzkamm zu Russland eine der gewaltigsten Fels- und Eisbarrieren auf dem europäischen Kontinent sowie gleichzeitig die Grenze zwischen Europa und Asien. Auch dort, wo ich mich befinde, liegt noch recht viel Schnee, in dem ich teilweise bis zum Bauch einsacke, was mich dazu veranlasst, den Grat schnell wieder zu verlassen, beim Blick hinab ins Tal gegenüber fürchte ich mal wieder einen unüberquerbaren Fluss, so wende ich mich wieder in die Gegenrichtung und steige über die Fahrstraße ab. Eigentlich komme ich nun in den touristischen Teil des Landes, Swanetien, doch viel gewandert wird anscheinend auch hier nicht. Den ganzen nächsten Tag über begegne ich keiner Menschenseele, allerdings existieren die Wege, die auf meiner Karte eingezeichnet sind auch nicht. Daher finde ich mich meist mit meinem im Moment nur 21 Kilo schweren Rucksack, denn meine Essensvorräte sind fast aufgebraucht, irgendwelche steilen Wiesenhänge auf oder absteigen, da ich heute zwei Pässe überwinden und drei Täler durchqueren will. Obwohl ich den ganzen Tag laufe, schaffe ich kaum ein Dutzend Kilometer und auch nicht gerade viele Höhenmeter. Das Panorama aber entschädigt für vieles. Zu meiner Rechten streben himmelhohe Wände von knapp 3000 m Höhe dem Horizont entgegen. Eisströme stürzen im wahrsten Sinne des Wortes die Flanken hinab, denn selten hört es auf zu krachen. Séracs von Dutzenden Metern Höhe hängen bedrohlich über dem Abgrund, jederzeit bereit, ihre Last in diesen zu ergießen. Pfeiler aus Schnee und Eis ziehen sich von hier unten ihren Anfang in den grünen Matten nehmend, scheinbar übergangslos bis ganz hinauf zu den aller obersten Erhebungen, die teils, so der Gipfel der Schara über 5000 m hoch sind. Größer könnte der Kontrast zwischen der eisigen Welt über mir und dem bunten Blumenwiesen über die ich schlendere, voller Pflanzen, die ich nicht benennen kann, denn hier kreuzt sich die Flora Europas in Asien und vereint sich zu doppelter Vielfalt, nicht sein.
Mal wieder verstellt mir ein Fluss den Weiterweg. Dieses Mal gibt es aber eine alternative Route. Ich muss noch weiter hinauf an die Quelle des rauschenden Wassers zum Gletschermund. Die Gletscherzunge selbst ist zu steil, um über ihr blankes Eis zu klettern, doch darüber ist der Eisstrom schuttbedeckt und zwar mühsam, aber doch gefahrlos zu passieren. Geraume Zeit kraxele ich so auf und ab über die sich bewegenden Blöcke und erreiche schließlich das andere Ende, wo mich ein in voller Blüte stehender Garten aus Rhododendren, Anemonen, Sumpfdotterblumen und Schmetterlingen, durchströmt von einem munter dahin plätschern Bächlein, empfängt.
Hinter dem nächsten Pass liegt, wenig erstaunlich ein Tal und damit einhergehend natürlich ein weiterer Fluss. Auch dieser ist viel zu reißend zum Überqueren, so erwartet mich eine erneute, ungleich schwierigere Gletschertraverse und die Hoffnung, vor 18:00 Uhr am Zeltplatz zu sein, zerstreut sich mal wieder. Zunächst muss ich eine Passage finden, durch die ich die steile Seitenmoräne erst hinauf und anschließend wieder hinab klettern kann, um so das Eis zu erreichen. Teils liegt Geröll auf der blanken Eisdecke und erweckt so einen trügerischen Anschein von Stabilität. Kleinere Spalten oder Wasserläufe kann ich problemlos überspringen. Wenig über mir, aber doch in sicherer Entfernung, kracht es ständig im riesigen, fast 2000 m hohen Eisfall, der sich direkt vom Gipfel der weißen Pyramide der 4800 m hohen Tetnuldi herabsenkt. Mittlerweile erfasst mich die Müdigkeit vom langen anstrengenden Tag und nach weiteren drei Kilometern talabwärts finde ich endlich einen Zeltplatz, doch sind es die Anstrengungen alle Mal wert gewesen für die grandiosen Ausblicke.
Zum Abschluss meiner viertägigen Durchquerung des Gebietes möchte ich auf einem Gipfel zelten, der Aufstieg ist, inzwischen verwundert es mich kaum noch, wie immer weglos. Oben angekommen, liegen mir fast sämtliche Berge im Süden zu Füßen, im Norden zeigt sich ein komplett anderes Bild, denn betrachtet man jene gigantischen Gebirgszüge dort, wird der Eindruck unumgänglich, dass ich doch nur an deren Fuß stehe. Lange blicke ich in die Ferne und sehe der Sonne beim Herabsinken zu. Sobald diese verschwindet, kühlen die Temperaturen auf knapp über den Gefrierpunkt ab. Auch der nächste Morgen ist sehr kalt, aber das ist auf einer Höhe von 3200 Metern ja auch nicht anders zu erwarten. In nicht mehr allzu weiter Ferne schmücken der felsige Doppelgipfel des Ushba und die große, von ewigem Eis bedeckte Pyramide des Elbrus, dem höchsten Berg Europas, den Horizont. Gestern Nachmittag ist mir das Essen ausgegangen und nun treiben mich Kälte wie Hunger gleichermaßen dem Tal und damit der Zivilisation entgegen. Doch als ich die Fahrstraße erreiche, löst sich mein Plan, ab hier trampen zu können, in Luft auf, denn es ist überhaupt kein Verkehr. Gezwungenermaßen laufe ich weitere 10 km in Richtung Mestia und stürze mich dort mit Heißhunger auf den ersten Supermarkt. 15 Minuten später komme ich wieder heraus mit drei Teilen in den Händen. Ich weiß nicht, wie die Menschen hier Lebensmittel einkaufen. Ein solches Bild habe ich in einem Supermarkt noch nie erlebt. Eigentlich kann man kaum etwas bekommen, das genießbar und bezahlbar ist. Der Großteil der Produkte ist extrem teurer und besteht aus von Europa oder Amerika importierten Süßigkeiten. Immerhin schaffe ich es zwei Pakete Nudeln und eine Gurke zu ergattern, mein Nahrungsmittelvorrat für die nächsten zwei Tage. Vorbei sind die Träume von Kuchen, Desserts, gebratenem Gemüse oder einfach nur gekochtem Reis. Insgesamt ist Mestia eine extrem schäbige Stadt. Man kreuze einen schweizer Skiort mit einer südamerikanischen Favela und man erhält in etwa das Bild, das sich mit hier zeigt. Wirklich jedes Haus bietet Zimmer an und das gleich in so großen Umfang, dass dessen ursprüngliche Bewohner auch manchmal in einem Schuppen daneben wohnen. Die meisten Touristen aber ziehen anscheinend vor, für mehrere 100 € pro Nacht in exklusiven Hotels zu verweilen. Dementsprechend teuer ist eigentlich auch alles andere. Da ich nicht unbedingt länger hier verweilen muss, breche ich sofort wieder auf in die Berge und finde, auch wenn es schon später Abend ist, und ich es das Laufen mit Rucksack echt satt habe, es waren alles in allem 20 km, die ich zurückgelegt habe, nur um den Ort über die Straße zu erreichen und meine spärlichen Einkäufe zu erledigen, ich bin noch in drei andere Läden gegangen, aber war dort nicht wirklich erfolgreicher, einen ganz schönen Zeltplatz direkt in der Nähe eines Gletschers unter derselben felsigen Spitze des Ushba.
Es gibt viele Arten, wie man aus dem Schlaf gerissen werden kann. Ich würde die Behauptung aufstellen, dass Donnergrollen eine der unangenehmeren ist. Bald setzt auch schon prasselnder Regen ein und das Gewitter nimmt an Stärke zu. Das schöne Wetter der letzten Tage ist eindeutig vorbei. Im strömenden Regen breche ich mein Lager ab und starte mit dem Abstieg ins Tal, wobei ich erneut nach Mestia komme, das mich auch diesmal nicht besonders zum Bleiben einlädt. So gehe ich gleich weiter, denn an Trampen ist hier innerorts gar nicht zu denken, zu meinem nächsten Ziel nach Westen.
Irgendwann nehmen mich dann zwei Türken mit, sie wollen zu einem Wasserfall wandern und kurz entschlossen frage ich, ob ich mich ihnen anschließen dürfe. Daraufhin werde ich mit einem köstlichen türkischen Frühstück verwöhnt. Überhaupt dem ersten Frühstück in der letzten Woche, denn was soll man hier in diesem Land auch schon frühstücken, wenn es meistens kein Brot natürlich keinen Käse, Schinken, Wurst oder Konfitüre und erst recht kein Müsli gibt? Nun aber kann ich endlich mal alle kulinarischen Köstlichkeiten genießen: frisch gebackenes Brot, Käse, gebratene Eier, angebratene Wurst und diverse Nussaufstriche. Auf meine Frage, wo sie all dies gekauft hätten, meinen die beiden schmunzelnd, das Wasser wäre georgisch, der Rest käme aus der Türkei.
Von meinen Reiseplänen sind sie total begeistert und bekommen direkt Fernweh, meinen aber, sie könnten nicht so weit verreisen, das würden ihre traditionell orientierten Familien nicht gut heißen. So etwas von zwei Anfang 30 Jährigen, der eine Richter der andere Ingenieur, zu hören erstaunt mich.
Durch das viele Schmelzwasser dieses Jahr ist der Wasserfall wirklich sehr beeindruckend. Der Dauerregen von heute Morgen hat sich zu Sonnenschein gewandelt, aber als ich dann abends mein Zelt aufbaue beginnt es wieder zu regen und ich vermisse Reisegesellschaft noch mehr.






Lieber Sascha,
überwältigende Landschaften – ich hoffe, sie entschädigen dich für alle Strapazen! Wenn man deinen Bericht liest, wird einer klar, dass deine Reise kein Spaziergang ist, sondern ein großes Abenteuer.
Ich wünsche dir noch viele solche, vor allem nette Begegnungen und Begleiter*innen – und soviele Schutzengel, wie es braucht, um dich vor allen Gefahren zu beschützen.
Alles Liebe
Martina
Hallo Sascha, habe grade deinen Blog gelesen , Kompliment! Super geschrieben und phantastische Bilder. Es wäre jammerschade, diese Abenteuer vorzeitig zu beenden. Ich würde vielleicht versuchen, deinen Plan, der sicher sehr gut war, aber nicht zu den Gegebenheiten vor Ort passte, so zu ändern, dass die ganze Sache noch Spaß macht. Hart wird es überall bleiben, aber ausreichend zu essen haben, ist eine Grundvoraussetzung für jede Treckingtour. Notfalls auch mal einen bezahlten Flug umbuchen oder ausfallen lassen.
Unsere Treckingtour in Neuseeland war auch hart, für mich besonders, weil ich sie nicht wollte ( habe manche Träne geheult). aber es waren nur 4 bis 5 Tage. Von hier aus kann man natürlich nichts beurteilen.
Liebe Grüße Omi
Lieber Sascha,
danke mal wieder für die schöne Beschreibung Deiner Abenteuer. Ich habe die letzten Tage an Dich gedacht und schon gewartet… Das hört sich doch schon gut an… türkisches Frühstück und auch sonst alles geschafft. Ich wünsche Dir noch schöne Begegnungen mit anderen Menschen die nächsten Tage, nicht nur wegen der Mahlzeiten 😉
Lieben Gruß
Amara
Hey Sascha, also du scheinst mir nicht glücklich mit all dem. Ich habe dir in der letzten Mail über Mut geschrieben- Mut ist auch, etwas abzubrechen, was nicht das ist, was man sich vorgestellt hat.
Entscheidend kannst nur du, weil nur du die Einsamkeit, den Hunger und alles ertragen musst.
Wir stehen hinter dir, egal wie du entscheidest.
Umarme dich. Nico